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Daniel Müller


Kunst mit Vorurteilen

Daniel Müller

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Kunst mit Vorurteilen

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Kunst mit Vorurteilen

Daniel Müller

Es ist eine merkwürdige Situation. Während Tätowierer Daniel Müller und ich immer mal wieder lachen, liegt im Hamburger Atelier Klammheimlich eine Person vor mir, die Qualen erleidet. Immer wieder bohren sich 15 Nadeln gleichzeitig in dessen Haut. Nicht nur der Kopf ist vor Schmerz schon rot angelaufen – man sieht auch, wie sich der Körper immer wieder verspannt. Lebenslange Kunst, die weh tut.

Wie bist du zum Tätowieren gekommen? Wann und wodurch wurde dir klar, dass du künstlerisch tätig sein willst?

Durch Zufall. Ich wollte eigentlich nie Tätowierer werden, aber ich wollte schon immer etwas Kreatives machen. Ich habe mich nie in einem Normaljob gesehen, sondern war immer daran interessiert, irgendwas Neues zu kreieren. Ich habe viel Musik gemacht und mir war immer klar, dass ich später in meinem Leben von etwas leben werde, was mit Kunst zutun hat. Ich habe dementsprechend nach der Schule auch nie eine Ausbildung angefangen, sondern gejobbt und gehofft, dass sich etwas in dieser Richtung ergibt – und tatsächlich ist es so gekommen. Ich bin für einen Bekannten, mit dem ich zusammen Musik gemacht habe, als Shopguy für die Kundenberatung im Tattoostudio eingesprungen. Das sollte eigentlich ein Sommerjob werden. Dann hat es mir aber viel Spaß gemacht, dort abzuhängen und mit Leuten zu quatschen. Einfach diese Kunst ständig um mich herum zu haben. Vorher habe ich in Hamburg in einem Lager gearbeitet und T-Shirts und Jeans nach Löchern sortiert. Das andere war dann natürlich schon ein bisschen cooler. Also dachte ich: Ich probiere es einfach mal aus. Ich war selbst tätowiert, aber es kam mir nie in den Sinn, Tätowierer zu werden. Das kam dann alles dadurch, dass ich angefangen habe, in diesem Studio zu arbeiten.

Hast du vorher schon gezeichnet?

Früher mal, in Teenagerjahren. Dann habe ich das alles abgelegt und habe mich mit anderen Sachen beschäftigt. Ich habe nur ein bisschen rumgekritzelt und mich auch mal an Graffiti probiert, aber da war ich ganz einfach zu schlecht für. Das sah nicht gut aus. Dann habe ich irgendwann aufgehört und andere Ziele verfolgt – Mucke gemacht und solche Sachen.

Wie hast du deinen eigenen Stil entwickelt? Welchen Stil genau machst du überhaupt?

Ich würde meinen Stil als Neo-Traditional bezeichnen. Als ich zum Tätowieren kam und mich mehr mit der Szene, der Kultur und der Entwicklung beschäftigt habe, war das immer der Stil, der mich am meisten interessiert hat. Traditional Tattoos sind für mich das wahre Tätowieren – ohne dass man jetzt die anderen Stile schlecht dastehen lässt. Für mich waren immer Tattoos aus dicken Linien, Sachen, die auch in hundert Jahren noch gut in der Haut aussehen, das Ziel. Auch die Geschichte dahinter, wie das alles entstanden ist, hat mich immer fasziniert. So habe ich dann auch meinen Stil entwickelt. Wenn man anfängt, gibt’s immer Leute auf die man schaut. Ich will nicht sagen Vorbilder, aber Menschen die einen in ihrem Stil inspirieren. Dann versucht man selbst etwas zu zeichnen, was in diese Richtung geht und so entsteht der eigene Stil. Was immer ganz wichtig ist: Nicht kopieren und klauen, sondern sich inspirieren lassen und etwas Eigenes daraus machen. Ich würde aber über mich als Tätowierer sagen, dass ich noch nicht da bin, wo ich gerne wäre.

Was sind für dich die Vorteile deiner Arbeit?

Freiheiten. Frei sein in seinen Entscheidungen. Uns kann niemand rein quatschen und wir leben von einer Kunst. Ist irgendwie ein Fluch und Segen zugleich – für mich persönlich aber dennoch das Nonplusultra. Ich kann spontan entscheiden, ohne irgendwelche Urlaubsanträge stellen zu müssen. Ich bin an keine Zeiten gebunden und kein Teil von irgendeinem System. Ich bin Teamplayer und liebe es, im Team zu arbeiten, aber ich liebe es auch, dass ich mich nur auf mich selbst verlassen muss. Wenn dann irgendwas nicht läuft, dann weiß ich, es lag an mir.

Wo fängt bei dir die Arbeit am Tag an und wo hört sie auf?

Eigentlich hört die Arbeit nie auf. Ich habe den Vorteil, dass mein Job cool ist und ich eine Sache mache, die mir extrem viel Spaß macht. Die Arbeit hört in dem Sinne eigentlich nie auf, weil man sich auch in der Freizeit mit der Materie beschäftigt. Ich lass mich gern inspirieren, lese viel darüber und versuche, so viel es geht, in meiner Freizeit zu zeichnen. Es kann schon mal vorkommen, dass ich abends auf der Couch sitze und einen Film mittendrin ausmache, weil ich dabei eine coole Idee hatte. Dann sitz ich da bis drei oder vier Uhr morgens an irgendeiner Vorlage, einem Wanna-Do oder einem Bild. Ich zeichne das Motiv, coloriere es und designe das Drumherum. Manchmal poste ich das dann und jemand will es tätowiert haben, oder ich mach etwas anderes daraus. Zumindest ist es mein Anspruch, dass die Sachen nicht bei mir im Kopf enden oder irgendwo auf Papier landen und dann nie darüber gesprochen wird. Es muss raus. Ich will, dass es gesehen wird.

Wie lang brauchst du in der Regel für den ersten Entwurf, beispielsweise für das Rückentattoo?

Bei dem war es ein bisschen kompliziert. Es ist natürlich ein riesiges Bild und musste der Körperstelle extrem angepasst werden. Das variiert. Ich habe bei dem Ding tatsächlich sieben bis acht Stunden an dem Entwurf gesessen. Es gibt aber auch Motive, die ähnlich groß sind und schon nach drei Stunden sitzen. Es ist ganz schwer zu sagen. Ein Nachteil von dem Job ist das Kreativsein auf Knopfdruck. Manchmal hast du einfach nicht diesen Flow, nicht dieses Gefühl. Es ist dann ein wenig schwierig, sich etwas aus den Fingern zu saugen. Ich kann mich aber ganz gut in die Stimmung dazu bringen. Ich habe da so meine Tricks und höre dann zum Beispiel eine bestimmte Musik. Das habe ich bei dem Motiv auch gemacht.

Gibt es bestimmte Motive, bei denen du dich weigerst sie zu stechen? Ist dir das schon mal vorgekommen?

Beides ja. Ich würde es auch trennen. Es gibt Motive, da weigere ich mich strikt sie zu machen, im Sinne von politisch rechts-motivierte Sachen. Wenn jemand mit irgendwas aus dieser Richtung kommt, würde ich die Person sofort des Ladens verweisen. Aber dadurch, dass ich jetzt aktuell in einem Tattooshop arbeite, wo ich mir die Kunden vorher aussuchen und sehen kann, wer da eigentlich mit mir kommuniziert, wird das hier sowieso nicht vorkommen. Ich bin selbst Ausländer, auch wenn man das an meinem Namen nicht unbedingt merken würde. Für mich gehört Politik immer dazu, vor allem in der heutigen Zeit. Es gibt das eine, wo ich sofort ein rotes Tuch habe und mich komplett weigere und dann gibt es noch den Fall, dass ich einfach nicht alles machen kann. Wenn man zu mir kommt und etwas Realistisches haben will, zum Beispiel ein Porträt von seiner Oma, dann würde ich das ablehnen. Das ist einfach nicht mein Ding.

Daniel Müller beim Tätowieren

Du bist ja selbst tätowiert, bereust du eins deiner Tattoos?

Nein, aber es gibt Motive, die ich mir so heute nicht mehr stechen würde. Ich habe zum Beispiel zwei religiöse Motive auf meinem Arm und ich habe nie an Gott geglaubt. Nicht mal zum damaligen Zeitpunkt. Ich glaube, ich fand das ganze Positive, was damit in Verbindung stand, nur einfach nicht schlecht. Ich habe ein kleines Kreuz und das Dreieinigkeitszeichen. Würde ich nicht wegmachen, fällt aber doch eher so in die Kategorie »Beschissene Fußballer-Tattoos«.

Was hältst du von Aussagen wie »Jedes Tattoo sollte eine tiefere Bedeutung haben«?

Das ist der größte Schwachsinn, den ich jemals gehört habe. Jeder wie er will. Wenn Menschen immer eine Story dazu brauchen, um sich tätowieren zu lassen – go for it. Für mich ist es einfach nur eine Form von Kunst. Die braucht nicht immer eine Bedeutung. Klar ist es cool, wenn das etwas in dir auslöst – aber ein Tattoo kann ja auch etwas in dir auslösen, wenn du es einfach nur schön findest. Es gibt auch Menschen, die stechen sich ihr Gesicht mit irgendwas gruseligem voll, weil sie schocken wollen. Es ist völlig ok, wenn die sich als eine Art Kunstwerk sehen. Ich persönlich konnte nie verstehen, wenn jemand in den Laden kam, fünf Sterne tätowiert haben wollte und mir dann erklärte, die Sterne stehen für seine Familienmitglieder. Ich brauche da keine Bedeutung für. Ich habe einen Haifisch tätowiert – ich mag Haifische. Das ist meine große Bedeutung dahinter. Weil ich Haifische cool finde.

Hast du im Alltag selbst Erfahrungen mit Vorurteilen aufgrund deiner Tattoos gemacht?

Ja, aber auch eher in der Anfangszeit. Mein Unterarm war damals relativ schnell volltätowiert und ich habe zu der Zeit noch im Zivildienst im Krankenhaus gearbeitet. Da bin ich natürlich in Krankenhausklamotten rumgelaufen, in welchen man die Arme sieht. Ich habe dem Chefarzt vom Krankenhaus mal etwas vorbeigebracht, ein Päckchen für ihn. Er wollte es öffnen und hat mich gefragt, ob ich ein Messer dabei hätte. Dann meinte ich zu ihm: »Ich arbeite in einem Krankenhaus, wieso sollte ich denn ein Messer dabei haben?« Er sagte dann »Tätowierte haben doch immer ein Messer dabei und sind gewaltbereit« – und das meinte er, glaube ich, wirklich ernst. Aber er kam noch aus einer viel älteren Generation, andere Erziehung. Das war eine der krasseren Erfahrungen, alles andere sind meist nur Blicke. Mittlerweile juckt das aber keinen mehr.

Hast du Erfahrung mit Cover-Ups von Tattoos oder Narben? Wie waren so deine Erfahrungen, was das angeht?

Ja, habe ich. Ich habe schon welche gemacht, aber auch schon welche abgelehnt. Meistens ist es so, dass der Kunde es selbst ablehnt. Ganz oft hat man eine Anfrage für ein Cover-Up und dann erklärt man den Leuten, was es damit auf sich hat. Wenn man das Teil covern möchte, heißt das, dass das neue Motiv meistens zwei- bis dreimal größer als das vorherige Tattoo sein muss und dass es, je nachdem was man hat, auch immer dunkler sein wird. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten Leute, die ein Cover-Up haben wollen, Teile aus den 90’ern überdecken wollen. Dinge, die nicht mehr zeitgemäß sind – auf die man aber damals Bock hatte. Dann hat man festgestellt: Das ist ja richtiger Schrott. Und wenn man den Leuten dann erklärt, es muss größer, es muss dunkler – dann möchten die meisten doch nicht mehr. Lasern ist auch eine Option. Wenn das Tattoo generell zu dunkel ist, hilft fast nur das. Narben habe ich auch schon mal gecovert. Hängt aber davon ab wie tief sie sind. Wenn sie zu tief sind, funktioniert es auch nicht. Was ich zum Beispiel nicht mache sind Brandnarben. Die Hautstruktur ist dann so verändert, dass es schwer ist, dort Farbe reinzubekommen.

Tätowieren
Tätowieren

Hattest du schon einen Fall von Brandnarben?

Ja, hatte ich schon mal. Jemand aus einem aktuellen Kriegsgebiet mit einer kriegsbedingten Brandnarbe. Ich musste ihr dann sagen, dass es nicht geht und ich da nichts machen kann. Hat mir natürlich extrem leid getan. Das war am Unterarm und die Haut war so beschädigt, so abgeändert, dass man da wirklich gar nichts mehr machen konnte. Sie hatte jemanden dabei, der ihr alles aus dem Englischen übersetzt hat und verstand das auch.

Hatte einer deiner Kunden beim Tätowieren schon einmal so intensive Schmerzen, dass du abbrechen musstest?

Ich habe schon mal ein Tattoo nach einem einzigen Strich abgebrochen. Das waren zwei Freundinnen, die beide einen Anker auf dem Fuß haben wollten – wir reden hier von einem Anker, der zwei Zentimeter groß war. Die eine davon hatte schon ein Tattoo und wollte anfangen. Ich hatte von Anfang an kein gutes Gefühl bei ihr. Ich habe den ersten Strich gemacht und sie ist sofort in Tränen ausgebrochen. Man muss sagen, das war auf dem Fuß. Der Fuß ist eine Stelle, die durchaus weh tut. Sie ist mir gegenüber ausfallend geworden, warum ich ihr denn solche Schmerzen bereite – aber nicht aus Spaß. Ich habe ihr dann versucht zu erklären, dass das dazu gehört und ich da gerade mit einer Nadel Farbe in ihre Haut ritze. Das ist nunmal schmerzhaft. Sie meinte dann irgendwann, sie weiß nicht, ob sie das weitermachen kann und brach ab. Manchmal hat man aber auch einfach einen schlechten Tag oder ist schmerzempfindlicher als sonst. Dann verschiebt man einen Teil schon mal auf eine zweite Session. Kam schon alles vor, aber das ist total menschlich.

Am Ende noch mal eine persönlichere Frage. Wo siehst du dich so in zehn Jahren?

Huh, na hoffentlich mache ich das hier noch immer! Bin weiter kreativ und nicht leer gesaugt. Ich würde schon gerne noch so ein paar Dinge abhaken. Es gibt so ein paar Shops, in denen ich gerne noch arbeiten würde. Ich würde auch gern als Künstler weiter vorankommen, auch in der Musik. Ich habe diesen ganz, ganz verrückten Traum. Ich würde super gerne mal bei Rock am Ring spielen – und das ist wahrscheinlich auch nur ein ganz, ganz verrückter Traum – aber genau diese Träume braucht man um überhaupt voran zu kommen.

Wer jetzt Lust auf frische Farbe in der Haut bekommen hat, kann sich natürlich gerne bei Daniel oder beim Atelier Klammheimlich melden. Ab und zu ist er auch in anderen Tattooshops, als Guest Artist, anzutreffen. Alle wichtigen Informationen und weitere Bilder seiner Arbeiten findet ihr auf seinen Social-Media-Accounts.

Autorin
Frances

Fotos: Frances